Rheinland-Pfalz

FAQ Rechtliche Regelungen

Projekt: Rechtliche Regelungen

 Frageblöcke zu u.a. folgenden Themen erscheinen demnächst:

- Welche Breiten sind für Gehwege, Radstreifen / Schutzstreifen / Radwege / Fahrradstraßen vorgegeben?
- Piktogramme/Piktogrammketten
- Wann ist ein Radweg benutzungspflichtig?

 

Thema: Geschwindigkeitsbegrenzungen

1 Vorbemerkung

Die folgende Übersicht ist keine juristische Ausarbeitung, sondern versucht nur aus der Perspektive des interessierten Laien einen pragmatischen Überblick über zu beachtende Gesichtspunkte zu gewinnen.

2 Eine grundsätzliche Differenzierung

In der StVO wird unterschieden zwischen der Möglichkeit, unter bestimmten Umständen eine "Zone" mit Tempo 30 (oder eventuell einem niedrigeren Wert) einzurichten, und deutlich komplexeren Anforderungen, die eine Tempobeschränkung auf einer bestimmten Strecke im Prinzip bei einer beliebigen Straße (außerorts ggfs. auch auf Tempo 50 oder einen anderen Wert, der niedriger als die Regelgeschwindigkeit ist) rechtfertigen. Vgl. auch die ausführlichen Tipps des VCD zum Thema.1

1 www.vcd.org/fileadmin/user_upload/Redaktion/Strassen_fuer_Menschen/Tempo30_Soforthilfe_Papier_2021.pdf

3 Zonenregelungen

Eine Regelung, mit der ein ganzer Bereich eines Orts zu einer "Zone" mit einer reduzierten Geschwindigkeiten erklärt. ist eine klare und inzwischen weit verbreitete Möglichkeit, um erkennbar zu machen und zu unterstützen, dass Quartiere und erweiterte Stadtbereiche spürbar dem Aufenthalt und dem Leben der Menschen statt primär dem Autoverkehr gewidmet sind. Die Definition solcher Bereiche wird von der StVO in unterschiedlicher Perspektive gestattet:

(a) Spezielle Bereiche/"Zonen"/Straßen

  • Tempo 30-Zonen

    Die Straßenverkehrsbehörden ordnen ferner innerhalb geschlossener Ortschaften, insbesondere in Wohngebieten und Gebieten mit hoher Fußgänger- und Fahrradverkehrsdichte sowie hohem Querungsbedarf, Tempo 30-Zonen im Einvernehmen mit der Gemeinde an. Die Zonen-Anordnung (Zeichen 274.1) darf sich weder auf Straßen des überörtlichen Verkehrs (Bundes-, Landes- und Kreisstraßen) noch auf weitere Vorfahrtstraßen (Zeichen 306) erstrecken.
    StVO § 45 Abs. 1c Satz 1-2

  • Fahrradzonen (Zeichen 244.3) analog zu Tempo 30-Zonen, die Grundlage ist allein die hohe Radverkehrsdichte ohne Bezug auf Zufußgehende

    StVO § 45 Abs. 1i

  • "Verkehrsberuhigter Geschäftsbereich" als Verschärfung der Tempo 30-Zone, es kann z.B. eine Beschränkung auf 20 km/h angeordnet werden (Zeichen 274.1 mit der betreffenden Höchstgeschwindigkeit).

    (1d) In zentralen städtischen Bereichen mit hohem Fußgängeraufkommen und überwiegender Aufenthaltsfunktion (verkehrsberuhigte Geschäftsbereiche) können auch Zonen-Geschwindigkeitsbeschränkungen von weniger als 30 km/h angeordnet werden.
    StVO § 45 Abs. 1d

  • Ein verkehrsberuhigter Bereich (oft als "Spielstraße" bezeichnet, auch weil das Schild u.a. ein ballspielendes Kind zeigt, Zeichen 325. ) kann durch die Straßenverkehrsbehörde angeordnet werden, nach StVO § 45 Abs. 1b, und erlaubt nur Schrittgeschwindigkeit, maximal 10 km/.2

    Voraussetzung für die Auszeichnung ist, dass die Straße bzw. der Bereich einen baulichen Charakter als Aufenthaltsbereich hat.

  • In einer Fahrradstraße (Zeichen 244.1) ist höchstens Tempo 30 zugelassen. Radfahrende dürfen auch nebeneinander fahren, wenn nötig, muss der Kraftfahrzeugverkehr die Geschwindigkeit weiter verringern. Fahrradstraßen dürfen nach angeordnet werden StVO § 45 Abs. 9 Satz 4, ohne dass sie der Vermeidung einer besonderen Gefährdungssituation dienen. Es ist vielmehr zu beachten, dass der Radverkehr mindestens nach Einrichtung der Fahrrad­straße in dieser Straße die dominierende Verkehrsform darstellt oder die Straße primär für den Radverkehr eine hohe Netzbedeutung hat

    VwV-StVO, Zu Zeichen 244.1 und 244.2 Beginn und Ende einer Fahrradstraße, Randnummer 1

(b) Charakter einer "Zone", Ampelanlagen

Während die Gerichte früher gelegentlich die verkehrsrechtliche Zone auch stadtstrukturmäßig verankert sehen wollten, ist heute der verkehrsrechtliche Bereich einer Zonenanordnung legitimerweise durch die Anordnung, also durch das Schild, definiert.

Allerdings muss weiterhin der Charakter einer vorherrschenden Fuß- bzw. Radverkehrs bestehen, wozu gehört, dass die Straße häufig und ohne spezielle Überwege überquert wird. Damit werden Ampelanlagen normalerweise nicht (mehr) als erforderlich angesehen. Alte (vor dem 1. November 2000 eingerichtet) genießen allerdings Bestandsschutz und müssen nicht abgebaut werden

VwV-StVO, Zu § 45, Randnummer 45, Ziffer X!, Nummer 6

Zebrastreifen ("Fußgängerüberwege") werden in diesem Zusammenhang nicht erwähnt und können weiterhin angelegt werden.

(c) Wenn es keine "Zone" ist ...

Sofern kein überörtlicher Verkehr betroffen ist, können und sollen die diversen Zonentypen je nach örtlichen Gegebenheiten angeordnet werden und sind deshalb in vielen Kommunen in großer Zahl anzutreffen.

Ganz anders die Regelungen für Straßen mit überörtlicher Funktion, für die grundsätzlich die Restriktionen der Zonengebote für nicht anwendbar erklärt werden, StVO § 45 Abs. 9 Satz 4. Dort kann es – bzw. muss es eventuell Gebote für eine Temporeduktion, die auf bestimmte Abschnitte einer Straße bezogen sind.

2 de.wikipedia.org/wiki/Schrittgeschwindigkeit

4 Streckengebote

Die StVO sieht die Erlaubnis für den Erlass von Streckengeboten mit reduzierter Geschwindigkeit unter verschiedenen Bedingungen vor.

(a) Allgemeine Regelungen

Tempobegrenzungen können grundsätzlich auf Straßen bzw. Strecken einer Straße aus Sicherheitsgründen angeordnet werden:

Die Straßenverkehrsbehörden können die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten.
StVO § 45 Abs. 1 Satz 1

Darüber hinaus können bzw. sollen die Behörden insbesondere zum Zwecke des Immissionsschutzes tätig werden:

Das gleiche Recht haben sie …
3. zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen
StVO § 45 Abs. 1 Satz 2

Wie mit diesen Grundsatzregeln umzugehen ist, erweist sich im Weiteren allerdings als außerordentlich komplex.

Einschränkung

Die Interpretationsmöglichkeiten der scheinbar weitgehenden Ermächtigungen - wo verursacht der Straßenverkehr keine Sicherheitsrisiken und Immissionen? -, werden unter Ziffer (9) dramatisch beschnitten. Die Gefahren an einem konkreten Ort werden nur für beachtenswert erklärt, wenn an diesem Ort ein "erheblich" höheres Risiko als das normale „allgemeine“ Risiko besteht - was ggfs. nachzuweisen ist.

Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist. Dabei dürfen Gefahrzeichen nur dort angeordnet werden, wo es für die Sicherheit des Verkehrs erforderlich ist, weil auch ein aufmerksamer Verkehrsteilnehmer die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig erkennen kann und auch nicht mit ihr rechnen muss.
StVO § 45 Abs. 9 Satz 1-2

Und damit ein Interpret auf jeden Fall nicht auf "falsche" Gedanken, führt die Verordnung nochmal u.a. im Hinblick auf Geschwindigkeitsbeschränkungen aus:

Insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt.
StVO § 45 Abs. 9 Satz 3

In diesen Kontext passt das berüchtigte Argument, es sei ja noch niemand zu Schaden oder zu Tode gekommen, daher könne es keine besondere Gefahrenstelle sein, und man brauche/dürfe hier keine Vorsorge treffen. Nicht beachtet wird bei diesem Gedankengang, dass vielleicht, weil die Gefahrenlage offensichtlich ist, an der Stelle praktisch niemand zum Beispiel mit dem Rad gefahren ist und nur deshalb es keine Unfälle gab. Im Ergebnis wird dann der fließende (Auto-) Verkehr nicht beschränkt um den Preis der faktischen Ausschlusses des Radverkehrs, also der weitestgehenden Beschränkung für diesen.

Noch zynischer wäre ein Schluss der Form, dass, wenn sich überall schwere Unfälle ereignen, nirgends eine besondere Gefahrenstelle existiert, die eine Beschränkung rechtfertigt. Dieses Argument wird nicht offensiv verwendet. Implizit ist es dennoch eine zentrale Denkfigur, wenn eine gewisse Rate von Unfällen in der Stadt, auf Landstraßen und auf Autobahnen im normalen Rahmen sein soll und eigentlich für unvermeidlich erklärt wird.

Interessant die geschichtliche Entwicklung der Geschwindigkeitsbeschränkungen.3

Die erste Reichs-Straßenverkehrsordnung hob am 28. Mai 1934 alle Bestimmungen über Geschwindigkeitsbegrenzungen auf.

Im Mai 1939 wurden wegen der Unfallzahlen wieder Begrenzungen eingeführt (PKW innerorts 60 km/h, außerorts 100 km/h, LKW 40 bzw. 70 km/h). Nach Kriegsbeginn senkte man die Geschwindigkeiten im Oktober 1939 auf 40 km/h innerorts, außerorts 80 km/h für PKW, 60 km/h für LKW. Die Beschränkung galt auch auf den neuen Reichsautobahnen.

1953 wurden sämtliche Höchstgeschwindigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland wieder aufgehoben, auch innerhalb geschlossener Ortschaften, ab 1. September 1957 innerorts jedoch wieder eingeführt (50 km/h für alle Kraftfahrzeuge).

Detail4 aus der Diskussion in den 1950er Jahren:

Nach dem Vorbild von Großbritannien (30 Meilen = 48 Km/H) und Österreich (50 km/h) regte der CDU-Politiker Oskar Rümmele eine Begrenzung auf Tempo 50 in der Stadt, Tempo 80 auf Landstraßen und Tempo 90 auf Autobahnen an. Rümmele hatte sich als Vorsitzender des Verkehrsausschusses mit der europäischen Situation beschäftigt und konnte darauf verweisen, dass Großbritannien trotz einer viel höheren Verkehrsdichte 1955 nur 5000 Verkehrstote zu beklagen hatte. 1956 wurde sein Vorschlag heftig diskutiert. Laut protestierte etwa der ADAC, der den innerstädtischen Verkehr zusammenbrechen sah und den Ruin der deutschen Automobilindustrie prophezeite. Rümmele selbst wurde als hartnäckiger Schwarzwälder Holzhacker diffamiert, als Landei, das Angst vor dem Tempo der Großstädte hatte.

Der Lärmaktionsplan, ein mittelbarer Hebel

Das Land zusammen mit den Kommunen bzw. große Kommunen selbstständig müssen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz ( https://www.gesetze-im-internet.de/bimschg, 6. Teil) Lärmaktionspläne aufstellen mit dem Ziel, den Schutz der Bevölkerung vor Lärmbelastungen durch Umgebungslärm zu verbessern (für Rheinland-Pfalz vgl. https://umgebungslaerm.rlp.de/de/laermaktionsplanung)

Sofern der kommunale Lärmaktionsplan die Minderung von Lärmimmissionen durch eine Tempobegrenzung vorgibt, ist die Straßenverkehrsbehörde aufgrund von StVO § 45 Abs. 1 Satz 2 gehalten, diese Tempobegrenzung anzuordnen und hat dabei keinen eigenständigen Ermessensspielraum, auch wenn das früher häufig so interpretiert wurde. In Baden-Württemberg ist der Vorrang des Lärmminderungsplans in einem Erlass der Landesregierung festgehalten5, gemäß einem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg6: „Der fachrechtliche Ermessensspielraum der Straßenverkehrsbehörde wird durch die Lärmaktionsplanung überlagert.“

Da für die Erstellung von Lärmaktionspläne eine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgeschrieben ist, ergibt sich eine mittelbare Einwirkungsmöglichkeit für Bürgerinnen und Bürger, ebenso durch eine Mitgestaltung des politischen Prozesses, der zum Beschluss einer Lärmaktionsplanung führt.

Das Grundsatz-Argument

Gegenüber einer restriktiven Auslegung der StVO wird der Argumentationsraum für ein Tempolimit, wie schon in der historischen Diskussion um Tempo 50, wieder erweitert, wenn das grundsätzliche und grundgesetzliche Prinzip der Achtung des Menschenlebens und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit zur Geltung gebracht wird (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Als Maßstab kann das Prinzip selbstverständlich nicht durch das Recht auf Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) aufgehoben werden, auf das sich Argumentationen gegen eine Tempobeschränkung berufen. Umgekehrt ist zu berücksichtigen, dass ein Mehr an Handlungsmöglichkeiten für Autofahrende in Form höherer erlaubter Geschwindigkeiten gerade im städtischen Raum einhergeht mit einer Einschränkung der Bewegungsfreiheit für Kinder wie überhaupt für alle Menschen, die mit dem Rad oder zu Fuß unterwegs sind und für die zum Beispiel eine Straßenüberquerung zu einer Hürde wird.

Konkret: Es darf nicht sein, dass das Fahren mit dem Auto die einzig halbwegs sichere Möglichkeit ist, als Kind zur Schule zu kommen oder sich sonst irgendwo von A nach B zu bewegen; und allen, die sich nicht mit dem Auto bewegen wollen oder können, ein gravierendes Unfallrisiko droht. Die "Vision Zero", formuliert für den Straßenverkehr zunächst in den skandinavischen Ländern, fordert das eigentlich Selbstverständliche, dass mit Nachdruck das Ziel verfolgt wird, dass im Straßenverkehr keine Menschen mehr den Tod oder schweren Verletzungen erleiden, und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen sind.

In der Verwaltungsvorschrift zur StVO in der Fassung vom 8. November 20217 wird dies explizit als Interpretationsanleitung für die Bestimmungen der StVO festgehalten:

Oberstes Ziel ist dabei die Verkehrssicherheit. Hierbei ist die `Vision Zero` (keine Verkehrsunfälle mit Todesfolge oder schweren Personenschäden) Grundlage aller verkehrlichen Maßnahmen.
VwV-StVO, Zu § 1 Grundregeln, Randnummer 1, Nummer I, Satz 2-3

Haftung für eine vernachlässigte Beseitigung von Gefahrenstellen

Ein weiteres Rechtsgebiet betritt man mit der Frage, ob eine Nichtanordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung, wenn an der betreffenden Stelle ein Unfall passiert, als Vernachlässigung einer Pflicht der Behörden oder der zuständigen Mitarbeiter gewertet werden kann oder muss.

Die StVO formuliert wie zitiert, dass Beschränkungen zum Beispiel der erlaubten Geschwindigkeit nur angeordnet werden dürfen, wenn eine besondere Gefahrenvorlage besteht. Dies kann nicht heißen, dass das Ignorieren einer erkannten Gefährdung zulässig ist. Das wäre unvereinbar mit der jederzeitigen Pflicht des Schutzes von Leben und Gesundheit wie auch von Sachwerten. Die Formulierung kann nur bedeuten, dass allgemeine Risiken nicht zu einem Übermaß an Einschränkungen führen sollen, sondern eine pflichtgemäße Prüfung der spezifischen Gefährdungslage stattfinden muss.

Wenn diese Prüfung nicht stattfindet oder offenkundig unzutreffend ist, stellt dies eine Verletzung der behördlichen Pflicht dar, die im Schadensfall einen Haftungsanspruch begründen kann. Dies gilt insbesondere, wenn die Straßenverkehrsbehörde auf den Hinweis auf eine gravierende Gefahrenstelle gar nicht reagiert.

3 https://de.wikipedia.org/wiki/Zul%C3%A4ssige_H%C3%B6chstgeschwindigkeit_im_Stra%C3%9Fenverkehr_(Deutschland)

4 www.heise.de/autos/artikel/50-Jahre-Tempo-50-461437.html

5 vm.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-mvi/intern/Dateien/PDF/230208_Kooperationserlass-LAP-BW.pdf

6 Urteil vom 17. Juli 2018, Az. 10 S 2449/17, www.landesrecht-bw.de/jportal/

7 www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_26012001_S3236420014.htm

4 Streckengebote (Teil 2)

Haftung für eine vernachlässigte Beseitigung von Gefahrenstellen

Ein weiteres Rechtsgebiet betritt man mit der Frage, ob eine Nichtanordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung, wenn an der betreffenden Stelle ein Unfall passiert, als Vernachlässigung einer Pflicht der Behörden oder der zuständigen Mitarbeiter gewertet werden kann oder muss.

Die StVO formuliert wie zitiert, dass Beschränkungen zum Beispiel der erlaubten Geschwindigkeit nur angeordnet werden dürfen, wenn eine besondere Gefahrenvorlage besteht. Dies kann nicht heißen, dass das Ignorieren einer erkannten Gefährdung zulässig ist. Das wäre unvereinbar mit der jederzeitigen Pflicht des Schutzes von Leben und Gesundheit wie auch von Sachwerten. Die Formulierung kann nur bedeuten, dass allgemeine Risiken nicht zu einem Übermaß an Einschränkungen führen sollen, sondern eine pflichtgemäße Prüfung der spezifischen Gefährdungslage stattfinden muss.

Wenn diese Prüfung nicht stattfindet oder offenkundig unzutreffend ist, stellt dies eine Verletzung der behördlichen Pflicht dar, die im Schadensfall einen Haftungsanspruch begründen kann. Dies gilt insbesondere, wenn die Straßenverkehrsbehörde auf den Hinweis auf eine gravierende Gefahrenstelle gar nicht reagiert.

(b) Spezielle Schutzbereiche

Die Argumentation vereinfacht sich erheblich, wenn Schutzbereiche für besonders gefährdete Personen ins Spiel kommen.

Die Straßenverkehrsbehörde kann hier eine Tempobeschränkung auf 30 km/h auch ohne spezifischen Nachweis einer besonderen Gefährdungslage anordnen

[auch] auf Straßen des überörtlichen Verkehrs (Bundes-, Landes- und Kreisstraßen) oder auf weiteren Vorfahrtstraßen (Zeichen 306) im unmittelbaren Bereich von an diesen Straßen gelegene Kindergärten, Kindertagesstätten, allgemeinbildenden Schulen, Förderschulen, Alten- und Pflegeheimen oder Krankenhäusern

StVO § 45 Abs. 9 Satz 4 Nummer 6

Dazu gehören im städtischen Raum ziemlich viele Strecken! Zu beachten ist weiterhin:

(c) Erweiterung von Streckengeboten

Liegt innerhalb geschlossener Ortschaften zwischen zwei Geschwindigkeitsbeschränkungen nur ein kurzer Streckenabschnitt (bis zu 300 Meter), so kommt zur Verstetigung des Verkehrsflusses eine Absenkung der Geschwindigkeit auch zwischen den beiden in der Geschwindigkeit beschränkten Streckenabschnitten in Betracht. Dieses fördert nicht nur die Verkehrssicherheit, sondern trägt auch zur Verringerung der verkehrsbedingten Lärm- und Abgasbelastung bei.

VwV-StVO, Zu Zeichen 274 Zulässige Höchstgeschwindigkeit, Randnummer 14, Nummer XII

5 Zur Positionierung des VCD

Zu differenzieren ist zwischen der rechtlichen und faktischen Situation innerorts und außerorts.

(a) Innerorts

Tempo 30 muss Standardgeschwindigkeit innerorts werden:

  • aus Verkehrssicherheitsgründen (Vision Zero)

  • aus Klimaschutzgründen

  • weil an Straßen innerorts Menschen wohnen und gehen, deren Rechte auf Lärmschutz und einen sicheren und entspannten Weg zu ihrer Wohnung nicht dem Wunsch von Autofahrenden nach ein paar Sekunden Zeitgewinn geopfert werden dürfen.

Der VCD fordert:

Ein höheres Tempo als 30 km/h darf innerorts nur zugelassen werden, wenn es eine sichere, komfortable (breite!) getrennte Infrastruktur für den Radverkehr gibt und weder Anwohnende noch Zufußgehende von dem viel höheren Verkehrslärm bei Tempo 50 betroffen sind.

Ein generelles Tempo 30 innerorts würde als Nebeneffekt auch ein Vielzahl von Verkehrsschildern einsparen, die einen irritierenden Wechsel des Tempos anzeigen, die Arbeit der Straßenverkehrsbehörden erleichtern und finanzielle Mittel einsparen.

(b) Außerorts

Wege, die Menschen zurücklegen wollen oder müssen, enden nicht an den Ortsausgangsschildern. Häufig enden allerdings an den Ortsausgangsschildern die angelegten Wege zum Zufußgehen. Die Regelhöchstgeschwindigkeit springt an den Ortsausgangsschildern von Tempo 50 auf Tempo 100.

Sofern keine Zusatzwege eingerichtet worden sind, endet damit auch ein wenigstens begrenzter Schutz für Zufußgehende und Radfahrende. Drt VCD fordert:

Wenn keine guten, gepflegten und auch bei Dunkelheit und schlechten Witterungsverhältnissen nutzbaren getrennten Wege existieren, ist das Tempo auch auf den Außerortsstraßen so weit zu reduzieren, zum Beispiel auf 50 km/h, dass eine weitgehend gefahrlose Nutzung für den Radverkehr und das Gehen auf einem Seitenstreifen möglich ist. Es darf nicht sein, dass eine z.B. Verbindungsstrecke zwischen zwei Ortschaften, die nur eine Länge hat, die innerstädtisch selbstverständlich gegangen oder mit dem Rad/Pedelec gefahren wird, außerorts für den Rad- und Fußverkehr als gefährliche Hürde angesehen werden muss und daher gemieden wird!8

8 Vgl. die Dokumentation einer krassen Situation in rlp.vcd.org/startseite/detail/fuer-mehr-verkehrssicherheit-auf-der-b48-zwischen-bingen-und-muenster-sarmsheim

Ansprechpartner FAQ-Projekt

AK Radverkehr, Rupert Röder

radverkehr.rheinhessen@vcd.org

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