Landesverband Rheinland-Pfalz
In der Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung zur Straßenverkehrsordnung wird zu deren §1 statuiert: „Hierbei ist die „Vision Zero“ (keine Verkehrsunfälle mit Todesfolge oder schweren Personenschäden) Grundlage aller verkehrlichen Maßnahmen.“
[https://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_26012001_S3236420014.htm]
Die Realität ist jedoch tausende Tote im Jahr von der Vision entfernt. Speziell für Radfahrende besteht die spezifische Gefahr, dass sie aus der Autofahrerperspektive im optischen „toten Winkel“ verschwinden; der kann leicht buchstäblich zum Todeswinkel werden, da den entscheidenden Sichtbereich die Fenster/Spiegel /Kameras des Autos nicht oder nicht gut erschließen.
Die letzten Tage hat es Menschen in unserem – fachlichen oder räumlichen – Umfeld getroffen. Von ihrem großen Glück bei ihrem Unfall Anfang Oktober berichtet die Leiterin Nachhaltigkeit & Umwelt der DB AG auf LinkedIn. Eine abbiegende Autofahrerin hat sie übersehen und umgefahren. Aber es blieb, so beschreibt sie es, nur bei Brüchen und Prellungen, ohne dauerhafte Verletzungen. Plus dem Schock, der, wie alle wissen, die Ähnliches erlebt haben, nicht leicht aufzulösen ist und lange nachhallt.
Tödlich endete der Unfall, den eine 50-jährige Frau aus Mainz, die in Wiesbaden als Schulpfarrerin arbeitete, am 29. September in Wiesbaden-Schierstein erlitt. Es war ebenfalls, vom Autoverkehr aus definiert, ein „Abbiegeunfall“. Abbiegen wollte nämlich anscheinend ein Autofahrer. Der übersah die Radlerin auf dem Radweg und fuhr sie an. In den Worten des Polizeiberichts, dann „kam es zum Zusammenstoß“. Die scheinbar sachliche Wortwahl suggeriert einen Vorgang zwischen zwei strukturell ähnlichen Beteiligten. In Wirklichkeit prallt jedoch ein Blechkasten auf ein fragiles Stahlrohr und schleudert einen menschlichen Körper in die Luft und auf den Boden. Das Opfer starb in der folgenden Nacht an ihren Verletzungen, sie hinterlässt ihre Familie mit zwei Kindern im Jugendlichenalter.
Die Radfahrcommunity trauerte mit einer Mahndemonstration vom Wiesbadener Hauptbahnhof nach Schierstein, im Wissen, dass solche Unfälle jeden Tag jede und jeden treffen können. An der Unfallstelle wurde ein Ghost Bike angebracht: ein weiß gestrichenes Fahrrad, das als dauerhaftes Mahn- und Gedenkzeichen dort stehen soll.
Am 26.10., 15 Uhr, wird nochmals eine Mahnwache an der Unfallstelle (Ecke Rheingaustraße/Äppelallee) stattfinden. Auch angedenk dessen, dass fast am gleichen Ort vor wenigen Jahren schon einmal eine Radfahrerin bei einem Unfall mit einem Lastwagen getötet wurde. Und der Ortsbeirat Wiesbaden-Schierstein bereits mehrfach für den Bereich Höchstgeschwindigkeit 30 gefordert hat. Denn bei langsameren Tempo würden Radfahrende nicht so leicht übersehen. Auch der Bremsweg wäre kürzer (bei 30 km/h 13,3 m statt 27,7 m bei 50 km/h) und selbst ein Aufprall wäre nicht so leicht tödlich.
Wie viele Menschen sollen noch sterben, bis aus der „Vision Zero“ eine Null-Unfall-Praxis bei der Gestaltung des Straßenverkehrs wird? Uns bleibt, neben der Trauer um jedes Opfer und der Furcht vor weiteren Unfällen, die uns und andere treffen, die Aufgabe, politisch und rechtlich für eine andere, bessere Verkehrswelt zu kämpfen.
(RR)