Rheinland-Pfalz

Landesverband Rheinland-Pfalz

Geschichten aus dem Mainzer Tempo-Schilder-Wald

Der Mainzer Stadtrechtsausschuss hat der Beschwerde eines Autofahrers gegen die Tempo-30-Anordnung auf den Durchgangsstraßen Kaiserstraße und Rheinstraße stattgegeben. Die Anordnung musste daher mit sofortiger Wirkung durch Verhüllen der Schilder ausgesetzt werden.

Damit wird eine Regelung von Mainz, die ein Zeichen für andere Kommunen setzte, vorläufig ausgehebelt. Die Rückeroberung der Straße ist eine der zentralen Motive des VCD. Gerade Tempo 30 stellt ein wichtiges Element für die Zivilisierung des städtischen Raums dar, der nicht nur konzipiert für Autos sein soll, sondern wieder zum Raum für die vielen Menschen werden soll, die - wie in Mainz der Fall - an den betreffenden Straßen wohnen oder sich dort zu Fuß und mit dem Rollator, dem Roller, dem Rad bewegen.

Wir rufen daher zur Beteiligung an der Raddemo unter dem Motto „Für eine lebenswerte Innenstadt“ Samstag, 19.4.2025, 13:30, Fort Malakoff-Terrasse, auf

 

Und hier etwas Hintergrund zu den Geschichten, die mit dem Thema verbunden sind:

1. Geschichte,

Es war einmal

  • eine Messtechnik, die Stickstoffoxid-Emissionen von Automotoren, insbesondere von Dieselmotoren, festhielt;
  • die Medizin, die den Nachweis der Gesundheits- und Lebensgefahr durch Stickstoffoxide führte;
  • die EU, die aus Gesundheitsschutzgründen einen Grenzwert von 40 µg NO2 pro m³ festlegte;
  • die DUH (Deutsche Umwelthilfe), die deutschlandweit viele Kommunen verklagte oder ihnen Klagen androhte, damit sie wirksame Maßnahmen ergreifen, um den Grenzwert einzuhalten und somit Leben und Gesundheit der Bürger:innen zu schützen
  • die Stadt Mainz, die zur Vermeidung des durch die Klage der DUH sonst erzwingbaren Dieselfahrverbots als mildere Maßnahme auf den stark verkehrsbelasteten Hauptverkehrsstraßen die Geschwindigkeit auf 30 km/h begrenzte und dies auch mit Kontrollen tatsächlich durchsetzte;
  • die dadurch erfolgte Reduktion von NO2 in der Luft, so dass der Grenzwert auch ohne Fahrverbote knapp eingehalten werden konnte.
  • Zahlreiche Anwohner:innen der betreffenden Straßen und ihrer Nachbarstraßen freuten sich über bessere Luft, deutlich weniger Verkehrslärm und viel angenehmere Möglichkeiten, zu Fuß zur Wohnung zu gehen.
  • Auch die anliegenden Geschäfte und die dort angesiedelte Gastronomie profitierten von den besseren Zuwegen.
  • Der Radverkehr konnte endlich durchgängige Straßenzüge statt verwinkelte Umwege nutzen und oft halbwegs entspannt im Autoverkehr „mitschwimmen“.
  • Die Autofahrenden nahmen deutlich mehr Rücksicht auf den Radverkehr als vorher

2. Geschichte

Es war einmal

  • eine böse Verkehrsdezernentin,
  • die dem Autofahrer die schnelle Fahrt (Zwischenruf, von einem Stau zum nächsten) nicht gönnen wollte,
  • und überhaupt Autoverkehr vergraulen wollte
  • weswegen sie ein fragwürdiges Tempolimit anordnen ließ.
  • Ein Autofahrer erhob Einspruch gegen die Anordnung.
  • Ein neues Gutachten erklärte, dass das Tempolimit wahrscheinlich nicht erforderlich sei, um die NO2-Grenzen einzuhalten.
  • Daher hob jetzt der Rechtsausschuss der Stadt als Beschwerdeinstanz die Anordnung des Tempolimits auf.
  • Die Radfahrenden beginnen wieder sich zu sich fürchten und vermehrt zu flüchten, für die Anwohner:innen nimmt der Krach wieder zu.

3. Fortsetzung – noch offen

Jetzt wird es spannend. Es gibt viele Ansätze zur Weiterführung der Erzählung, die wieder in die Richtung einer erneuten Temporeduktion weisen:

  • Über 1100 Kommunen mit Stadtregierungen aus ganz verschiedenen demokratischen Parteien haben sich in den letzten Jahre zur Initiative „Lebenswerte Städte“ zusammengefunden, die erreichen will, dass die Kommunen sich für ein niedrigeres Tempolimit als die 50 km/h der StVO entscheiden können (https://lebenswerte-staedte.de/de/staedte-und-gemeinden-der-initiative)
  • Die Novelle der StVO von 2024 hat diese Initiative der Kommunen nicht in Gänze aufgenommen, aber enthält neue Möglichkeiten und Aufträge zur Einrichtung von Tempo 30 (https://rlp.vcd.org/startseite/detail/zur-novelle-der-stvo-vom-5-7-2024)
  • Da immer noch zahlreiche Todesfälle durch die Luftverschmutzung verursacht werden, hat die EU die Grenzwerte verschärft. Spätestens ab 2030 darf der maximale durchschnittliche Tageswert statt 40 µg NO2 pro m³ nur noch 20 µg betragen (https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/luftverschmutzung-eu-neue-grenzwerte-100.html, die Weltgesundheitsorganisation WHO fordert sogar einen Grenzwert von 10 µg). Wenn bis dahin nicht die Menschen in großer Zahl auf E-Autos umsteigen, wonach es derzeit nicht aussieht, muss der motorisierte Individualverkehr wie auch der Güterverkehr in Menge und Geschwindigkeit noch mehr beschränkt werden.
  • Die Lärmminderung um 3 db an den Straßen durch die Tempominderung ist unbestritten.

Die Stadt hat angekündigt, auf der Basis des Lärmaktionsplans und aus Gründen der Gefahrenvermeidung ein neues Tempolimit zu erlassen. Das wäre im Sinne der Mobilitätswende nur zu begrüßen, wenn es diesmal hoffentlich rechtlich wasserdicht ist. Und den Schilderwald würde es gar nicht geben, wenn das Tempo innerstädtisch grundsätzlich, wie es eine alte Forderung des VCD ist, auf 30 km/h beschränkt wird.

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