Rheinland-Pfalz

Landesverband Rheinland-Pfalz

Ein Wahlaufruf: In sich überstürzenden Zeiten die Chance auf Einflussnahme nutzen

Fast zwei Monate ist das Jahr alt. Kaum noch aufzuzählen, was alles an krassen Debatten, an Ankündigungen, an Drohungen auch im vormals freiheitlichen Westen stattfindet. Die Parteien, die hier und anderswo nach Recht und Ordnung riefen, ignorieren offenkundig nichts lieber als Menschenrechte und die verfassungsmäßige Ordnung. Wen interessiert Privateigentum und rationales, wirtschaftliches Handeln, wenn Windräder zum Feindbild auserkoren werden?

In Deutschland gibt es – im Gegensatz zu den USA - noch starke demokratische Parteien. Dennoch ist in der nach der Bundestagwahl zu erwartenden politischen Konstellation zu befürchten, dass auch in Deutschland der Klimaschutz und damit auch der Aspekt der klimaverträglichen Mobilität auf den St. Nimmerleinstag verschoben wird. Mehr als 50 Jahre, nachdem eine internationale Vereinigung renommierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die als „Club of Rome“ in die Öffentllichkeit traten, in einer breit angelegten Studie festgestellt hat, dass unser ressourcenverschwendendes Wirtschaften globale Katastrophen ansteuert und in ein no future führt, schwenkt ein großer Teil der Politik wieder auf einen Titanic-Kurs ein. 

 

Folgen der Erderwärmung lange bekannt

Es waren nicht nur unabhängige und kritische Wissenschaftler, die seit den 1970er Jahren auf die katastrophalen Folgen bei Fortsetzung der fossilen Ökonomie hinwiesen. Ein internes Memo der Forschungsabteiung des Ölkonzerns ExxonMobile aus dem Jahr 1982 hat die Führungsspitze der Firma eindrücklich auf den Treibhauseffekt der CO2-Emissionen und seine Gefahren für das planetare Klima hingewiesen. Es sagte mit erstaunlicher Genauigkeit die – inzwischen eingetretene – Erwärmung der Erdatmosphäre bis zum Jahr 2020 voraus und prognostiziert, übereinstimmend mit den heutigen wissenschaftlichen Forschungsergebnissen, bis zum Jahr 2100 eine Erwärmung um 3 Grad.1 Die Autoren erklären 1982 (!): „Eine Abschwächung des Treibhauseffekts würde eine starke Reduktion der Verbrennung fossiler Brennstoffe erfordern“ [Übersetzung RR].

Basierend auf dieser Erkenntnis hätte es ein Geschäftsmodell für Exxon werden können, frühzeitig Prozesse und Produkte zu entwickeln und zu vermarkten, für die keine fossilen Brennstoffe mehr benötigt werden. Der Konzern zog jedoch, wie so viele Firmen in vergleichbaren Situationen, mit dem Blick auf die kurzfristige Ertragssituation eine Schummel- und Betrugstaktik vor und beförderte in großem Maß die ideologische Verharmlosung und Leugnung des Klimawandels.2 Und in der Praxis wurde daran gearbeitet, dass alle auf die weitere und weiter vermehrte Nutzung fossiler Brennstoffe setzen, die nur für wenige Menschen lukrativ ist.

Deckmantel Technologieoffenheit

In den USA ist diese Politik jetzt zur offiziellen Regierungsagenda geworden. In Deutschland bestreitet nur die AfD schlicht den Klimawandel. Andere in Politik und Wirtschaft verbergen mit der Formel von der „Technologieoffenheit“, dass sie die Gefahren des Klimawandelns nicht ernst nehmen und vermutlich den Klimaschutz aushebeln wollen. Statt des Verbrenneraus fordern sie die Unterstützung von Dieselmodellen, die auch mit E-Fuels oder mit Wasserstoff fahren können. Man kann wetten: Wenn eigentlich nach dem bisherigen EU-Fahrplan und nach den noch gültigen Regeln in Deutschland keine neuen Verbrenner mehr verkauft werden dürften, wird die Politik feststellen, dass E-Fuels zu knapp und zu teuer sind: und wir dann halt doch weiter auf Benziner und Diesel-PKWs setzen müssen. [Eine wunderbare populäre Darstellung der physikalischen Zusammenhänge liefert die Wissenschaftsjournalistin Nguyen-Kim in einer Folge ihrer Reihe MAITHINK X]

Der VCD ist im Jahr 1986 dafür gegründet worden, dass die Anstöße des Club of Rome auch in Konsequenzen für den Mobilitätssektor der Gesellschaft münden. Diese Aufgabe hat sich nicht erledigt. Im Gegenteil ist ihre Dringlichkeit noch viel mehr gewachsen. Die Umweltkrisen und -katastrophen in der Welt und auch in Deutschland vermehren und verschärfen sich. Im VCD und in der Umweltschutzbewegung sind wir damit heute mehr als je auf die Herausforderung zurückgewiesen, nicht „irgendwie“ aktiv zu sein, sondern Mittel zu finden, um die Mobilitätswende als Teil einer Energie- und Wirtschaftswende zu einer breiten gesellschaftlichen Bewegung zu machen. Die Frage steht im Raum, wo können wir Hebel ansetzen, die die Koordinaten des politischen Systems insgesamt verstellen und die Gesellschaft als ganzes erneut und ernsthaft auf den Kurs einer bestandsfähigen Zukunft bringen. 

Wichtig ist gewiss, sich im persönlichen Bereich mit den Bedingungen eines ökologischen Handelns auseinanderzusetzen, Flugreisen einschränken auf wirklich wichtige Anlässe, das Auto nutzen, wenn es wirklich keine andere Möglichkeit gibt, die eigene aktive Bewegung in den Alltag integrieren. Aber das individuelle, moralisch geleitete Handeln allein wird die ökologische Wende nicht zustandebringen. Es kann und soll vor allem Handlungsmodelle erkunden und ausformen, die verallgemeinerbar sind, sobald gesellschaftliche Rahmenbedingungen für sie gesetzt werden.

Eine Richtungsentscheidung

Die Veränderung der gesellschaftlichen Bedingungen ist eine entscheidende Komponente für einen Erfolg. Wenn sie nicht zustande kommt, oder gar, wie derzeit in den USA und in Ankündigungen und Drohungen auch hierzulande, Ansätze zerstört werden, gibt es keine Aussicht auf Gelingen. Das heißt, anstelle eines einfachen Hebels für die erforderliche Transformation ist ein Wechselspiel vonnöten, bei dem sich – angeregt durch Beobachtungen und wissenschaftliche Untersuchungen – individuelle Verhaltensänderungen, die zivilgesellschaftliche politische Intervention, zum Beispiel als VCD, und der Wandel der institutionellen Politik wechselseitig anregen und am Ende Hand in Hand gehen.

Resümee: Die Richtungsentscheidung, die bei der Bundestagswahl getroffen wird, ist nicht der einzige Faktor, der die Prozesse einer ökologischen Transformation in den nächsten Jahren prägt. Selbst wenn im Bundestag alles konträr läuft, sind wir individuell und zivilgesellschaftlich zum Handeln gefordert. Aber für einen durchgreifenden Erfolg brauchen wir, dass auch die institutionelle Ebene mitzieht und auch partiell vorangeht. 

Das ist ein Wahlaufruf! Demokratische Parteien wählen sollte selbstverständlich sein. Aber mehr noch, Parteien wählen, die die ökologische Wende unterstützen! Die, aus Sicht des VCD formuliert, insbesondere weitgehend unsere mobilitätspolitischen Anliegen teilen. Und die Aussicht bieten, wesentliche Teile davon in die Kompromisse einzubringen, die in einer Regierung geschlossen werden müssen.

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